Der Beitrag stellt die verschiedenen Strategien des BND vor, mit denen dieser geltendes Recht umgeht, sowie die Fälle, in denen er das Recht unstreitig bricht. Die „Trickkiste“ des BND umfasst – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die folgenden Punkte:
I. „Herausdefinieren“ von Menschen aus dem Grundrechtsschutz: der BND hat entschieden
, Ausländer und Deutsche „in ausländischer Funktion“ aus dem Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses herauszunehmen.
II. Die Weltraumtheorie: derzufolge muss sich der BND bei von Kommunikationssatelliten abgehörten Daten nicht an deutsches Recht halten, da sich die Satelliten im Weltraum befinden.
III. Die Metadaten-Theorie: Die Auffassung des BND, Metadaten seien keine personenbezogenen Daten und fielen daher nicht unter der Bundesdatenschutzgesetz.
IV. Umgehen der Datenschutzbeauftragten und illegaler Datenbank-Betrieb: Der BND betrieb mindestens zwei Datenbanken mit rechtswidrig gespeicherten Daten ohne Wissen seiner Datenschutzbeauftragten.
V. Verletzung der Kontrollrechte des Parlaments: Der BND verletzt gemeinsam mit dem Kanzleramt die Kontrollrechte des Parlaments, in dem er die Aufklärung im Untersuchungsausschuss behindert.
VI. Kommunikationsüberwachung durch die Hintertür der G10-Genehmigungen: Der BND nutzt G10-Genehmigungen als Vorwand, um Provider zu zwingen, ihnen Zugang zu Kommunikationsdaten von Ausländern einzuräumen.
I. „Herausdefinieren“ von Menschen aus dem Grundrechtsschutz
1. Kein Fernmeldegeheimnis für Ausländer – ermöglicht Massenüberwachung und Umgehen der Kontrollorgane
Eigentlich heißt es im Grundgesetz in Art. 10 (1): “Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.” Doch für Geheimdienste gilt das Recht auf Privatsphäre in der Regel nur für die Bürger/innen ihres eigenen Landes. Und so überwacht auch der BND Nicht-Deutsche im Ausland praktisch ohne Einschränkungen
, da BND und Bundesregierung entgegen der gängigen Meinung von Staatsrechtler/innen das Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 GG nur als „Deutschengrundrecht“ interpretieren. Art. 10 findet aus Sicht des BND nur dann Anwendung, wenn die Betroffenen die deutsche Staatsbürgerschaft haben oder sich in Deutschland aufhalten.
Aus diesem Grund muss der BND nach eigener Auffassung die Überwachung von Kommunikation zwischen Ausländern nicht durch die G10-Kommission genehmigen lassen. Denn diese ist nur zuständig für die Kontrolle solcher Aktivitäten des BND
, die Art. 10 GG betreffen.- Das kann nach der Auslegung des BND bei Kommunikation zwischen Nicht-Deutschen ja niemals der Fall sein.
Da die G10-Kommission nicht für die Überprüfung von Rechtsauffassungen zuständig ist, gibt es im bestehenden rechtlich-institutionellen Rahmen kaum Grenzen für diese eigenwillige Rechtsinterpretation. Der Staatsrechtler Matthias Bäcker spricht deshalb von einem „rechtsfreien Raum“ für den BND. Der BND-Mitarbeiter T.B. (anonymisiert) sagte im Untersuchungsausschuss, Nicht-Deutsche im Ausland seien „zum Abschuss freigegeben“ .
Dank dieser Rechtsauffassung konnte der BND den größten Teil seiner Überwachung an der Kontrolle der G10-Kommission vorbei durchführen. Für die Überwachung der Kommunikation von Nicht-Deutschen im Ausland gibt es aktuell nicht einmal eine Rechtsgrundlage. Dies wird sich mit Inkrafttreten des neuen BND-Gesetzes ändern – allerdings stellt die neue Rechtslage keinen Schutz dar, sondern legalisiert lediglich die bereits stattfindende Massenüberwachung.
Übrigens ist die Unterscheidung zwischen Kommunikation von Inländern und Ausländern schon rein technisch gar nicht sauber umsetzbar, da aus z.B. einer E-Mail-Adresse selten die Nationalität und der Aufenthaltsort des Besitzers geschlussfolgert werden können.
2. Kein Fernmeldegeheimnis für Deutsche „in ausländischer Funktion“
Selbst nach der geschilderten eigenwilligen Rechtsauffassung des BND über den Schutzbereich des Art. 10 GG müssten wenigstens Deutsche sicher durch das Fernmeldegeheimnis geschützt sein. Doch auch bei Deutschen behält sich der BND eine Ausnahme vor: Das Fernmeldegeheimnis gilt seiner Ansicht nach nicht für sogenannte Funktionsträger. Damit sind sind Personen gemeint, die beruflich für ausländische juristische Personen (Unternehmen, NGOs….) kommunizieren. Der BND argumentiert damit, dass die Telekommunikation eines Funktionsträgers eigentlich die Kommunikation der juristischen Person sei, der er angehört. Da ausländische juristische Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG nicht den Schutz des Fernmeldegeheimnisses genießen, seien daher auch Ihre Funktionsträger nicht geschützt.
Auch diese Rechtsauffassung ist nicht haltbar: Das Fernmeldegeheimnis schützt unmittelbar die Teilnehmer/innen eines Kommunikationsvorgangs. Der Grundrechtsschutz eines Kommunikationsteilnehmers verschwindet nicht deshalb, weil er für eine ausländische juristische Person kommuniziert, die selbst nicht durch das Fernmeldegeheimnis geschützt wird. Zudem werden bei Gesprächen in offizieller Funktion häufig auch persönliche Inhalte ausgetauscht, die mit der Funktionsträgereigenschaft der Gesprächspartner/innen nicht unmittelbar zusammenhängen.
II. Die Weltraumtheorie
Die eigenwillige Rechtsauffassung des BND zeigt sich auch in seiner “Weltraumtheorie”. Der BND vertritt die Ansicht, er dürfe Daten von Kommunikationssatelliten abhören und an die NSA weitergeben, ohne sich dabei an deutsche Gesetze halten zu müssen. Begründet wird dies tatsächlich damit, dass sich die Satelliten im Weltraum befänden – denn im Weltraum gelte schließlich kein deutsches Recht. Die Theorie ist selbst innerhalb des BND nicht unumstritten. Die BND-Datenschutzbeauftragte A. F. etwa war laut ihrer Aussage im Untersuchungsausschuss anderer Meinung, sie wurde aber „überstimmt“ .
Die bedeutendste Konsequenz der Weltraumtheorie ist die Nichtanwendung des BND-Gesetzes – damit sind sämtliche Vorschriften zur Dokumentation, Verarbeitung und Übermittlung der Daten hinfällig. Das macht vor allem die Weitergabe an ausländische Geheimdienste wie die NSA leichter, die nach der Weltraumtheorie nicht einmal dokumentiert werden muss. Der SPD-Obmann im BND-Ausschuss, Christian Flisek, fasst die Lage so zusammen: „Gibt der BND Informationen an ausländische Behörden wie die NSA weiter, gelten für ihn eigentlich […] Auflagen […]. Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass eine Übermittlung aktenkundig zu machen und der Empfänger auf die Zweckbindung hinzuweisen ist. Eine Weitergabe hat zudem zu unterbleiben, ‚wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegenstehen’. Diese Vorgaben scheinen denkbar ungeeignet, um Monat für Monat rund 500 Millionen Metadaten aus Bad Aibling an die NSA weiterzuleiten.“ Genau dies ist aber gängige Praxis beim BND.
Es gibt Grund zur Annahme, dass die Weltraumtheorie erst nach Beginn des BND-Untersuchungsausschusses entwickelt wurde, um sich der Weitergabe von sehr wohl angelegten Akten über den Zugriff auf Kommunikationsdaten zu entziehen.
Der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses Patrick Sensburg fasst die Lage treffend zusammen: „Die Weltraumtheorie bewegt sich juristisch schon auf sehr dünnem Eis. Bezeichnend aber ist, dass sie wohl vom BND nur erfunden wurde, um außerhalb des BND-Gesetzes handeln zu können. […] Aus den Vernehmungen [im NSA-Untersuchungsausschuss] wird immer deutlicher, dass die sogenannte Weltraumtheorie nur eine Erfindung des BND nach den Veröffentlichungen von Edward Snowden war. Vor 2013 gab es sie offensichtlich noch nicht.“
III. Die Metadaten-Theorie
Der BND ist der Auffassung, Metadaten seien keine personenbezogenen Daten. Personenbezogene Daten sind nach dem Bundesdatenschutzgesetz besonders geschützt, so dass die Auffassung des BND diesen Schutz pauschal umgeht.
Metadaten sind Daten über eine Kommunikation. Aus ihnen geht zum Beispiel hervor, wer mit wem wie lange telefoniert hat, wer wem wann eine E-Mail geschickt hat und wo die Person zu diesem Zeitpunkt war. Metadaten sind anders, aber ebenso aussagekräftig wie Inhaltsdaten, aus denen hervorgeht, was wurde gesagt oder geschrieben wurde. Sie lassen diverse Rückschlüsse zu, von Bewegungsprofilen bis hin zu sexuellen Vorlieben. So sagte General Michael Hayden (USA) in Bezug auf die US-Drohnenaktivitäten: „We kill people based on metadata. “
IV. Umgehen der Datenschutzbeauftragten und Illegaler Datenbank-Betrieb
Der BND betrieb jahrelang mindestens zwei Datenbanken, in denen Informationen aus Überwachungsmaßnahmen gespeichert waren, ohne die vorgeschriebene vorherige Datenschutzprüfung durch den/die Bundesdatenschutzbeauftragte(n) oder die notwendige Einbeziehung der eigenen, hausinternen BND-Datenschutzbeauftragten. Das berichtete die BND-Datenschutzbeauftragte im Untersuchungsausschuss – nur dadurch erfuhr die Öffentlichkeit überhaupt von der Existenz der Datenbanken.
Die Datenbank INBE enthielt angeblich Informationen über deutsche Staatsbürger nach Art einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung. Die Datenbank VerAS enthielt Metadaten ausländischer Staatsbürger.
V. Verletzung der Kontrollrechte des Parlaments
Der BND und seine Aufsicht, das Bundeskanzleramt, sind zur Mitwirkung bei der Aufklärung durch den Untersuchungsausschuss verpflichtet. Doch die Akten, die der Ausschuss für seine Aufklärungsarbeit braucht, wurden oft stark geschwärzt und erst nach dem Ablauf vereinbarter Fristen geliefert. Die Abgeordneten haben den Verdacht, dass Akten vor ihrer Weitergabe an den Ausschuss verändert wurden, auch wurden Dokumente „aus Versehen“ nicht übermittelt.
Im Untersuchungsausschuss werden Zeugen oft durch Mitarbeiter des Bundeskanzleramts unterbrochen, welche (mögliche) Aussagen für unzulässig halten. Meist wird dies damit begründet, dass sie nicht Gegenstand der Untersuchung seien oder aus Sicherheitsgründen nur nichtöffentlich behandelt werden dürften. Ebenfalls aus Geheimhaltungsgründen dürfen die Abgeordneten manche Dokumente nur in der Geheimschutzstelle des Bundestages ansehen, sich aber keine Notizen machen und nicht über die Inhalte sprechen..
Wegen Verletzung der Kontrollrechte des Parlaments klagen derzeit Grüne, Linke und die G10-Kommission des Bundestags. Der BND erhielt von der NSA eine Liste mit Selektoren (Suchbegriffen), woraufhin der BND die von ihm überwachte Kommunikation filterte und der NSA die Ergebnisse übermittelte. Inzwischen ist bekannt, dass etliche Suchbegriffe in Konflikt mit deutschem Recht standen – etwa die Namen deutscher Firmen und Staatsbürger. Die Regierung argumentierte, die Liste dürfte dem Untersuchungsausschuss nicht zugänglich gemacht werden, da dies gegen Geheimhaltungsabkommen mit den USA verstieße. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über die Klage steht aus, soll aber noch 2016 erfolgen.
VI. Kommunikationsüberwachung durch die Hintertür der G10-Genehmigungen
Betreiber von Datenknoten können freiwillig mit dem BND kooperieren. Für alle übrigen Fälle hat der BND ein Zwangsmittel zur Verfügung: Bewilligt die G10-Kommission des Bundestages eine Spionageaktion, die deutsche Grundrechtsträger im Ausland betrifft, muss der Betreiber seine Leitungen zur Verfügung stellen.
Offenbar nutzt der BND solche G10-Bewilligungen als Vorwand, um an Leitungen etwa in Frankfurt/Main heranzukommen, über die ausschließlich internationale Kommunikation läuft.
Der BND muss zwar alle Grundrechtsträger herausfiltern, die nicht von der Bewilligung der G10-Kommision gedeckt sind, also die Kommunikation von Deutschen. Alle anderen Daten kann er jedoch ungehindert analysieren. Insofern liegt es nahe, eine eher nebensächliche G10-Bewilligung einzuholen, um den Zugriff auf einen gesamtten Datenstrom zu erlangen.
Mit Griffen in diese Trickkiste hat der BND jahrelang geltendes Recht gebeugt, umgangen und gebrochen. Unter dem Druck des NSA-Untersuchungsausschusses und seinen Erkenntnissen hat die Regierung einen BND-Gesetzesentwurf vorgelegt, der im Herbst 2016 beschlossen werden soll. Leider schiebt der Entwurf den oben genannten Rechtsbrüchen keinen Riegel vor. Er legitimiert sie im Gegenteil und weitet die Möglichkeiten der geheimdienstlichen Überwachung sogar aus.
Quellen und weiterführende Informationen
Über die Rechtsauffassungen des BND:
Matthias Bäcker ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. In diesem Beitrag analysiert er die eigenwilligen Rechtsauffassungen des BND, wie sie im Untersuchungsausschuss zu Tage getreten sind.
Eine etwas kürzere Analyse der eigenwilligen Rechtsauffassung des BND findet sich in diesem Beitrag.
Der Beitrag befasst sich mit der eigentümlichen Konzeption personenbezogener Daten des BND.
Kai Biermann, „Eine Vertuschung namens Weltraumtheorie“, 24. 2. 2016 in Die ZEIT
Kai Biermann zeichnet die fragwürdige Entstehung der ebenso fragwürdigen Weltraumtheorie nach:
Kai Biermannm, „Was macht der BND mit seinen Daten?“ 15. 10. 2014 in Die ZEIT
Der Artikel beschäftigt sich insbesondere mit den unrechtmäßigen Datenbanken des BND
Der Artikel gibt einen Einblick in den Streit innerhalb des BND und zwischen BND und Kanzleramt über den zulässigen Umfang der Weitergabe von Daten an ausländische Geheimdienste:
Über die Behinderung des Untersuchungsauschusses durch BND und Regierung
Der Artikel bietet eine Zusammenfassung der vielfältigen Versuche von BND und Kalzleramt, die Arbeit des Untersuchungsauschusses unmöglich zu machen
Biermann, Kai. „Geheime Klage gegen geheime Selektoren“, 17. 9. 2015 in Die ZEIT
Der Artikel behandelt sowohl den Streit über die Selektorenliste, der zur Verfassungsklage führte, als auch die ans absurde grenzenden Bemühungen von Bundesregierung und BND
, den Prozess so sehr wie möglich zu erschweren.
Weitere Beiträge von Kai Biermann in der ZEIT über die Schwärzung und Fälschung der zur Verfügung gestellten Akten finden sich hier:
NSA-Ausschuss sieht nur schwarz, vom 9. 9. 2014
Abgeordnete halten BND-Akten für manipuliert, vom 5. 3. 2015
Über das neue BND-Gesetz
Andre Meister untersucht das neue BND-Gesetz- die Überschrift nimmt das desillusionierende Ergebnis vorweg